Eine Kolumne von: Richard Seidl
Das International Software Testing Qualifications Board (ISTQB®) hat nun schon über 20 Jahre auf dem Buckel. In einem Podcast-Interview mit der aktuellen Präsidentin Klaudia Dussa-Zieger habe ich letztens über die Entstehung und Entwicklung des ISTQB® gesprochen. Und ob man es nun mag oder nicht - Respekt ist auf jeden Fall angebracht. Seit über 20 Jahren arbeitet das ISTQB® zum großen Teil ehrenamtlich an der Professionalisierung des Software-Testings. Was schon schwierig genug ist, wird durch die Internationalität noch verstärkt: unterschiedliche Kulturen, Denkweisen und Präferenzen sind in den Lehrplänen unter einen Hut zu bekommen. Die Mühe hat sich gelohnt: Mit über 800.000 ausgegebenen Zertifikaten in über 130 Ländern ist das ISTQB® ein Erfolgsmodell.
Kern und Einstiegspunkt in die Welt des Software-Testings ist der ISTQB® "Certified Tester - Foundation Level", kurz CTFL. Er schafft die Grundlagen (Was ist eigentlich Testen?), definiert wichtige Begriffe (zum Beispiel: Was ist ein Integrationstest, ein Testfall oder ein Review?) und gibt hilfreiche Methoden an die Hand, um gute Testfälle zu entwerfen und aufzubauen.
Für mich hat der CTFL zwei ganz essentielle Bedeutungen, weswegen ich ihn auch all meinen Kunden - sowohl Testern, Fachleuten und Entwicklern - dringend empfehle:
Einheitlicher Sprachgebrauch: Wenn ich in Projekte komme, gibt es immer ein paar Klassiker, z.B. die Abgrenzung der Teststufen. Da habe ich schon die wildesten Definitionen gesehen. Solange die einheitlich im Unternehmen sind, ist das ok (solange man es den externen Kollegen auch erklärt). Aber oftmals gibt es auch innerhalb des Unternehmens oder sogar Projekts unterschiedliche Definitionen - und da ist Chaos vorprogrammiert. Der CTFL legt den Grundstein für einheitliche Definitionen und Begriffe und sorgt dafür, dass alle Beteiligten eines Projekts verstehen, worum es geht.
Werkzeugkasten: Der Certified Tester Foundation Level stellt die wichtigsten Themen rund um Testen und Qualität zusammen: Teststufen, Testarten, Testentwurfsverfahren. Und aus diesem Werkzeugkasten kann ich mich in jedem meiner Projekte bedienen. Egal ob etwas traditionell oder agil (oder irgendwas dazwischen) oder auch unabhängig, formal oder informell (oder irgendwas dazwischen) entwickelt wird. Selbst wenn ich den Lehrplan nur als Checkliste hernehme, ob ich dies oder das noch machen könnte, ist schon viel gewonnen.
Außerdem ist der CTFL die Basis für alle anderen Zertifikate, d.h. nur mit diesem Zertifikat ist die Weiterqualifizierung zu Test Analyst, Test Manager, etc. möglich. Für mich ist das eine wichtige Voraussetzung. Sind die grundlegenden Begriffe, Regeln und Methoden klar, kann ich darauf aufbauend Spezialwissen und Details erlernen.
Und nun ist im Mai dieses Jahres die Version 4.0 des ISTQB® CTFL Lehrplans veröffentlicht worden. Ein Major-Update also. Und das war dringend fällig: Als der CTFL vor 20 Jahren startete, war Agilität ein zartes Pflänzchen, das sich langsam entwickelte. Mit der immer größeren Verbreitung von agilen Methoden in den letzten Jahren wurde das Zertifikat vermehrt als "zu starr, zu statisch und veraltet" kritisiert.
Es gab zwar die "Agile Tester"-Extension, aber das Thema so zu isolieren und als Add-on dazuzugeben, konnte nur eine Zwischenlösung sein. Das große Update bringt nun die Themen zusammen. Strukturiertes Testen mit agilen Best Practices wie Devops, Shift Left, xDD und Retrospektiven. Mehr noch: Ich finde der aktuelle Lehrplan vertritt noch stärker den Spirit des Werkzeugkastens, den ich in agilen und in allen anderen Kontexten nutzen kann, um die Qualität meiner Softwareentwicklung zu steigern. Denn auch wenn wir gerade Agilität als das Nonplusultra feiern, gibt es Länder und Branchen, die weit davon entfernt sind.
Ja, es hat lange gedauert. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die Beteiligten machen das ehrenamtlich, international übergreifend und neben ihrem Job. Das verdient großen Respekt und hat in meinen Augen ein würdiges Ergebnis geliefert, das die nächsten Jahre das Software-Testen weiter professionalisieren wird.
Und wenn ich mir jetzt wünschen dürfte, dann wäre das: Mehr Praxis. Sowohl in den Trainings, als auch in der Prüfung. Mehr ausprobieren und während der Schulung auch Software testen - in echt und in Farbe :-) Bis dahin bin ich zufrieden mit dem großen Update des ISTQB® CTFL 4.0
Ihr Richard Seidl